AR, VR & 3D Printing als Chancen im Möbelhandel

Yves von Ballmoos

AR, VR & 3D Printing als Chancen im Möbelhandel

Wie gelingt es dem Möbelhandel, angesichts rückläufiger stationärer Besucherfrequenzen, die geeigneten digitalen Tools zu finden, um dem entgegen zu wirken bzw. eine bessere Conversion beim ROPO Effekt oder letztlich im Einrichtungshaus selbst (Frequenz – Kaufkunden) zu erreichen? Augmented Reality (AR), Virtual Reality (VR) und 3D Printing können hierbei ihre Dienste leisten. Worauf ist zu achten und was genau sind die Ziele?

Eines der grössten Probleme im Möbelhandel ist seit Jahr und Tag, dass viele Kunden sich ihr neues Einrichtungsstück nicht in ihrer eigenen Umgebung vorstellen können. Diese Verunsicherung hindert unmittelbar am Kauf vor Ort, zögert den Kaufprozess insgesamt heraus und vermag den Kauf schlimmstenfalls sogar ganz zu verhindern. Auch führt dieses Verunsicherungspotential dazu, dass der Konsument sich gerade bei der Anschaffung grösserer Einrichtungsgegenstände sehr konservativ in Bezug auf das Design verhält, um kein zu grosses gestalterisches Risiko einzugehen. Dies wiederum reduziert die Differenzierungsmöglichkeiten seitens des Handels und führt zu verstärktem Preiskampf. AR und VR, teils auch 3D Printing sind moderne Techniken um Kunden diesbezüglich Hilfe zu leisten. Im Fachhandel wurden bislang entweder noch Handskizzen und -zeichnungen angefertigt oder aufwendige CAD Visualisierungen und Collagen vorgenommen. Im grossflächigen Möbelhandel gibt es vielleicht den einen oder anderen geschickten Verkäufer, der mittels seiner Skizziergabe etwas Sicherheit in der Gestaltung zu ermitteln vermag. In der Regel wird das Kundenbedürfnis nach mehr gestalterischer Sicherheit aber nicht explizit befriedigt!

Interio hat vor einem Jahr in der Schweiz als zweites Einrichtungshaus ein AR-App lanciert. IKEA kam international etwas früher damit auf den Markt. Interio bestach aber mit einer geeigneten Shop-Anbindung sowie einer besseren Usability. Ziel der vom Autor als Projektleiter mitentwickelten App ist es, dem Kunden gestalterische Sicherheit zu vermitteln um damit die Verkäufe online wie stationär zu fördern. Ein erster Fallstrick in solchen Projekten ist die saubere Datenbasis. AR, VR und 3D Printing benötigen gute 3D Modelle der darzustellenden Produkte. Hier das richtige Preis-/Leistungsverhältnis zu finden ist anspruchsvoll, kann es doch das Budget leicht sprengen oder das Kundenerlebnis arg beeinträchtigen! Es lohnt sich bei der diesbezüglichen Lieferantensuche genügend Zeit einzuplanen, denn oftmals ist die Agentur, welche das App entwickelt, nicht die richtige für die 3D Modellentwicklung. Die Lancierung eines AR Apps ist aber letztlich heute keine Hexerei mehr und durchaus zu finanzieren. Über Erfolg oder Misserfolg entscheiden andere Faktoren:

1. Wird es kommunikativ mit genügend Nachdruck lanciert und anschliessend top-of-mind gehalten?
2. Setzen die Mitarbeiter auf der Fläche das Tool zusammen mit dem Kunden ein?
3. Wird das Tool laufend weiterentwickelt und unterhalten?

Es braucht Mut und Entschlossenheit des Managements ein digitales Tool mit Nachdruck zu lancieren. Doch ohne geht es nicht und man lässt es besser gleich sein, wenn man hierzu nicht bereit ist. Denn das merken auch die Mitarbeiter und die gilt es hierbei genauso zu gewinnen wie den Kunden. Es ist ein innovativer Zusatzservice, eine Beratungsleistung die weit über den Warenverkauf hinaus geht und damit auch eine neue Kundenbindung zulässt. Ein weiterer Stolperstein kann das Intensivierungssystem sein, denn digitale Tools ermutigen zum Kanalwechsel! Wie motiviere ich den Kundenberater im Einrichtungshaus den Vertriebskanalwechsel des Kunden zu unterstützen, ohne ihn dabei um seine Provision zu bringen? Seien sie sich hierbei einfach bewusst, der Kunde wechselt das Medium / den Kanal eh wie er will. Das kann niemand verhindern!

VR funktioniert in vielerlei Hinsicht ähnlich. Hinzu kommt aber die Problematik der zu konstruierenden Umgebung. Realistischerweise kann der Handel dies nur mit Test- oder Musterumgebungen lösen, da eine individuelle und kundenbezogene Variante derzeit schlichtweg nicht finanzierbar ist. Bei grösseren Immobilienprojekten macht dies hingegen sehr wohl Sinn, da hier Synergien zwischen den verschiedenen zu bewirtschaftenden oder verkaufenden Einheiten besteht und damit die Stückkosten stark runterkommen. Kooperationen zwischen Einrichtungsunternehmen mit einer guten 3D-Produktbibliothek und Immobilienentwicklern liegen geradezu auf der Hand…

3D Printing eröffnet gänzlich andere Anwendungsmöglichkeiten – immer ausgehend von einer guten 3D-Produktbibliothek /-datenbank, wie dies bei AR und VR auch von Nöten ist. Eine Basic-Lösung kann der 1:10 Druck eines «Mass»-Sofas als Modell sein, wie es praktisch alle Anbieter mit einem entsprechenden Produktsystem anbieten. Es ersetzt bestehende Modelle allgemeiner Art oder andere, derzeit eingesetzte Hilfsmittel – mit einem letztlich vergleichbaren Nutzen. Fazit: Cooles Tool zur Verkaufsunterstützung, aber letzt-lich gleich gut wie heute! Einen deutlichen Schritt weiter geht das Drucken von Einrichtungsgegenständen im Massstab 1 : 1 als vollwertige Produkte zum Verkauf! Stühle sind derzeit noch zu teuer um so zu drucken bzw. vor Ort zu produzieren, aber Dekorationsgegenstände funktionieren hierfür sehr gut. Diese können am POS für den einzelnen Kunden individualisiert werden (Grösse, Textur, Farbe), was dem Kunden letztlich ein Unikat verschafft. Die hinterlegten Modelle (Daten) könnten auch online zum selberdrucken vertrieben werden. Aktuell ist dies sicherlich noch Zukunftsmusik, doch weit ist der Weg nicht mehr bis dahin. Seien sie gewappnet! Neue Geschäftsmodelle werden daraus entstehen und unsere Möbel-Welt weiter durcheinanderbringen

Welches Potential in personalisierten Angeboten heute schon steckt lässt sich aus folgenden Grafiken ablesen.

McKinsey 2015, BCG 2019 in Future-of-Retail, Universität St. Gallen, Nov. 2019

Kleiner wird das Potential wohl nicht! Wie so oft wird es Gewinner und Verlierer geben. Die Digitalisierung verlangt dem Möbelhandel vieles ab. Nutzen Sie die Chancen die sich bieten!
Zusammenfassend lässt sich festhalten:
1. Bauen Sie sich eine Datenbank mit 3D Modellen ihrer Produkte auf. Sie werden sie (bald) brauchen!
2. AR ist ein sehr taugliches und bereits weitgehend ausgereiftes Mittel für den Handel um die Wirkung von Produkten zu simulieren und dem Kunden gestalterische Sicherheit zu vermitteln.
3. VR eignet sich derzeit v.a. für Kooperationen im Objektgeschäft.
4. 3D Printing bedingt gute Drucker. Für einen ersten Test im Bereich Accessoires macht es sicher Sinn.

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