Ein unbestrittenermassen bewegtes Jahr neigt sich dem Ende zu. Für viele Möbelhändler war es trotz COVID-19 ein erfolgreiches Jahr. IKEA schliesst traditionell Mitte Jahr ihr Geschäftsjahr ab und konnte wiederum Wachstum vermelden, sowohl in der Schweiz (+ 0.7 %) wie auch in Deutschland (+0.9 %). Der Brachenprimus wäre aber ohne die stark wachsenden Onlineumsätze nicht übers Vorjahresergebnis gekommen. So geht es vielen in der Branche: In Deutschland liegt die Branche über Vorjahr und in der Schweiz, was ich gehört hab, ebenfalls.
Zurückzuführen ist dies auf Onlineumsätze wie sie vor einem Jahr noch nicht für möglich erachtet worden wären. Aktuell gehen wir von einer Onlineumsatzsteigerung von über 188 % für die Branche (Home & Living) aus, also fast eine Verdoppelung! Der Lockdown im Frühjahr, mit Onlineverkäufen die bis zu 2.5 mal höher waren, war sicherlich der grosse Treiber, aber nicht nur. Der Kanalwechsel der Konsumenten wurde dadurch nur beschleunigt. Wer seitens der Anbieter bereit war, der profitierte, wenn er es denn abwickeln konnte. Nicht nur die Logistik, auch die internationalen Beschaffungswege erwiesen sich als Nadelöhr. Die chinesische Möbelindustrie boomt wie nie zu vor[1]. Die Lieferzeiten sind teilweise um ein 4-faches angestiegen! Dagegen wird die (grosse) deutsche Möbelindustrie die COVID-Krise nicht unbeschadet überstehen und einen Umsatzrückgang hinnehmen müssen. Die Exportmärkte Großbritannien, die Vereinigten Staaten, Spanien und Polen verzeichnen die grössten Rückgänge für die Deutschen Möbelproduzenten, während China (8 %) und die Schweiz (5 %) zulegten. Die Schweiz ist nun der grösste Möbelexportmarkt für Deutschland!
Warum hält sich der Schweizer Möbelmarkt in der Krise so gut? Die makroökonomischen Treiber sind sicherlich ein Grund dafür, wobei Deutschland eine tiefere Arbeitslosigkeit aufzeigen kann als die Schweiz! Betrachtet man die führenden Branchenplayer so fällt auf, dass es in der Schweiz keine riesigen Möbelpaläste (> 25’000 m2) auf der grünen Wiese gibt, so wie in Deutschland oder Frankreich. XXXLutz in Rothrist und Pfister in Suhr sind die grössten hierzulande und etwas darunter. Die grössten Möbelhändler der Schweiz verfügen über einen stärkeren E-Commerce Kanal als deren ausländische Konkurrenz, das zeigen die entsprechenden Online-Anteile auf, die im Vergleich zu Deutschland rund 2 – 3 %-Punkte höher liegen. IKEA, Pfister, Livique, Micasa und Conforama sind hierzulande ganz passable Multi-Channel Player, einige auch mit einem schönen Long-Tail – einem erweiterten Online-Angebot – welcher das Online-Angebot attraktiver macht. Omni-Channel ist für alle aber noch ein Wunschzustand. Die Kanäle verschmelzen noch zu wenig ineinander und Online erfährt bei allen noch nicht die Management-Attention, die es verdient hätte. Das übermächtige, rückläufige stationäre Geschäft verhindert das nach wie vor, kulturell wie auch in Bezug auf das Know-how (strategisch wie operativ). Ich rechne mit 20 – 25 % Online-Umsatzanteil in den nächsten 3 – 4 Jahren in der Schweiz. Für diejenigen, die gut aufgestellt sind, ist sogar mehr realistisch. Doch wie sieht der Weg dahin aus? Karolin Frankenberger zeigt das in ihrem eben erschienenen Buch «The digital transformer’s dilemma» auf: Zum einen muss das bestehende Kernbusiness state-of-the-art (digital) optimiert werden. Hier sprechen wir konkret von E-Commerce, Social Media, der Einsatz künstlicher Intelligenz bei der Warenbereitstellung und Logistik, Augmented Reality, Digital Signage, etc. Also das ganze bereits teilweise bereits eingesetzte Spektrum. Sie nennt diese Entwicklung die 1. S-Kurve. Die 2. S-Kurve hinterfragt das bestehende Geschäftsmodell grundsätzlich. Die hier gesuchten strategischen Initiativen sollen disruptiv sein. Nicht die Fläche der bestehenden Einrichtungshäuser und die eingespielten Beschaffungsprozesse sollen den Rahmen für die Innovation sein, sondern die Kundenbedürfnisse. Die guten Branchenplayer arbeiten aktiv an der 1. S-Kurve. Das strategische Management der ganz guten sowie der
Leader von morgen, bearbeitet aber beide S-Kurven!
Wer also 2020 im Möbelhandel nicht über dem Vorjahr abschliesst, der gehört entweder dem Büro- und Objektmöbelsektor an (die hatten es wirklich sehr schwer), oder sie haben die Digitalisierung sträflich vernachlässigt und wurden 2020 von der Realität eingeholt. Der Weg zurück ist in vielerlei Hinsicht schwer und teuer. Warum die digitale Transformation nötig ist, wird in der einschlägigen Literatur zu genüge dargelegt. Wie genau die aber, gerade in der Möbelbranche, vollzogen werden soll, kurz wie mittelfristig, hierzu gibt’s noch wenig bereit gestelltes Wissen und Erfahrung. Benchmarking mit Pure-Playern könnte ein erfolgsversprechender Weg sein, oder ein Strategie Workshop mit uns…
[1] Vgl. unser Blogbeitrag vom 22.10.20: https://furniture-advisory.com/wp-content/uploads/2020/10/Die-chinesische-Moebelindustrie-boomt.pdf