In regelmässigen Abständen zeigen wir an dieser Stelle die Entwicklung der Verkaufskanäle im Schweizer Möbelhandel auf. Dabei entstand der Begriff der «Flächenfalle». Er beschreibt die Entwicklung rückläufiger Flächenproduktivität bei gleichzeitig wachsenden Onlineumsätzen im Einrichtungs- und Möbelhandel, einem Phänomen, welches besonders in der Schweiz sehr ausgeprägt ist. Dies geht zurück auf die nach wie vor dominanten traditionellen Geschäftsmodelle, welche Möbel und Einrichtungsgegenstände stark über die Verkaufsfläche anbieten und verkaufen. Gleichzeitig ist die Digitalisierung in den Unternehmen nicht sehr fortgeschritten. Beurteilt man die Entwicklung der Geschäftsmodelle in der Möbelbranche anhand von Chesbroughs 10 Phasen Modell zur Analyse des Reifegrades von Business Models aus dem Jahre 2007, so fällt ein Grossteil auf die am drittwenigsten entwickelte Phase. Diese Möbelhändler verfügen über ein segmentspezifisches Business Model, um präzise auf die Kunden eingehen zu können. Grössere Märkte können bedient werden, was höhere Profite versprechen. Angreifbar ist das Geschäftsmodell in diesem Entwicklungsstadium jedoch durch neue Technologien und Marktveränderungen, die ausserhalb der eigenen, meist geringen, Innovationsaktivitäten liegen. – Und genau das ist in den vergangenen Jahren geschehen und führte zu massiven Umsatzrückgängen, zu Marktkonsolidierungen und Schliessungen. Märkte die kaum Innovation aufzeigen und laufend an der Kostenstruktur arbeiten, nennt Teece (2009) «Zero Profit Markets»!
Der Schweizer Wohnungseinrichtungsmarkt, welcher auch Möbel beinhaltet, ging über die vergangenen zehn Jahre (2013–2023) um 4.6 % zurück – trotz eines starken Wachstums während der Corona-Krise 2020 und 2021. Im 5-Jahres-Vergleich (2017–2022) liegt die Schweiz mit einem Wachstum von 3.98 % gegenüber Europa (16.1 %) deutlich zurück.
Abbildung 1: Entwicklung im Schweizer Wohnungseinrichtungsmarkt, 2009–2023 mit Trend (Quelle: eigene Darstellung nach GfK Switzerland 2024)
Der Onlineanteil im Schweizer Wohnungseinrichtungsmarkt betrug 2023 17.0 % (2022: 16.7 %) und bewegte sich damit unter dem europäischen Durchschnitt von 17.9 % aus dem Jahre 2022. IKEA (Schweiz) lag dabei mit 23 % deutlich über dem Durchschnitt. Seit 2014 (4 %) stieg der Onlineanteil kontinuierlich an, bis er sich vom Beginn der Coronapandemie (2019: 9 %) bis 2023 (17.0 %) beinahe verdoppelte. Damit schloss die Schweiz zu den weltweiten Onlineanteilen auf, die sich bereits seit 2017 über 15 % bewegten.
Abbildung 2: Entwicklung im Schweizer Wohnungseinrichtungsmarkt, 2014–2024 inkl. Onlineanteile (Quelle: eigene Darstellung nach GfK Switzerland 2024)
Die Entwicklung der Verkaufskanäle (Abbildung 2) zeigt deutlich auf, wie stark die stationären Umsätze in der Schweiz zurück gegangen sind: ganze 17.2 % 2024 – 2023! Wie sich die Flächenproduktivität (stationärer Umsatz durch Verkaufsfläche) im Schweizer Möbelhandel entwickelt hat, lässt sich anhand nachfolgender Beispiele ersehen:
2010 | 2020 | 2023 | Veränderung (2010 – 2023) | ||
IKEA | CHF 5’327 | CHF 4687 | CHF 3’493 | –34 % | Onlineanteil 26 % |
Micasa | CHF 4’114 | CHF 3723 | CHF 2’463 | –40 % | Onlineanteil 17 % |
Livique | CHF 1’610 |
| CHF 1’376 | –15 % | geschätzter Onlineanteil 17 % |
Conforama | CHF 5’344 |
| CHF 2’336 | –56 % | geschätzter Onlineanteil 17 % |
Tabelle 1: Entwicklung der Quadratmeterumsätze ausgewählter Einrichtungshäuser der Schweiz (Quelle: eigene Darstellung und Berechnungen, basierend hauptsächlich auf den veröffentlichten Geschäftsberichten)
Die Micasa weitete ihre Verkaufsflächen von 2010 bis 2023 um 10.4 % aus, Livique reduzierte sie um 18.1 % im gleichen Zeitraum. Gemessen an der Anzahl der Filialen baute Conforama die Fläche um über 40 % aus, die Marktführerin IKEA um ca. 15 %. JYSK plante, im Laufe der Jahre 2022/2023 25 Filialen zu eröffnen oder umzubauen, setzte dies jedoch nicht um. IKEA eröffnete nebst einem grossen Einrichtungshaus in Riddes weitere Pick-up Points und Plan and Order Points, was zu einem Verkaufsflächenwachstum von 12 % in den vergangenen 3 Jahren führte.
Angesichts der auch 2024 weiter rückläufigen Umsätze im Schweizer Wohnungseinrichtungsmarkt stellt sich die Frage, wie ein einzelnes Unternehmen diese Negativspirale durchbrechen kann. In den vergangenen Jahren haben, wie aufgezeigt, die meisten Möbelhändler auf sehr traditionelle (bzw. wohl eher veraltete) Instrumente zurückgegriffen: neue Filialen und noch aggressivere Rabattaktionen!
Moderne Möbelmanager werden sich allerdings fragen, wie ihr Unternehmen zukunftsfähig gestaltet werden kann.. Basierend auf den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen, schlagen wir eine integrale Konzeption zur Lösung der Flächenfalle vor, praxistauglich ausgestaltet anhand eines eigenen Frameworks, welches in unseren Projekten zur Anwendung kommt. Dies folgt der Überzeugung, dass die weitreichenden Probleme der Branche nicht durch einzelne operative Massnahmen nachhaltig gelöst werden können. Vielmehr bedarf es eines ganzheitlichen Ansatzes, um die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu sichern. Dem dualen Geschäftsansatz (2 S-Kurven) kommt bereits in einer frühen Phase eine tragende Rolle zu, indem kurz- und mittelfristige Effizienzsteigerungsmassnahmen jeglicher Art von weitergehenden (zeitlichen, organisatorischen und inhaltlichen) Projekten gänzlich in der Beurteilung der eigenen Situation wie auch in der Umsetzung neuer Initiativen zu trennen sind.
Der duale Ansatz verspricht disruptive Ideen unabhängig und parallel zum operativen Geschäft zu entwickeln. Auch wenn diese heute noch wenig erfolgsversprechend erscheinen, so lohnt es sich die entsprechenden organisatorischen Massnahmen (z.B. Inno-Labs, Corporate Ventures, etc.) zu treffen und zu alimentieren, nicht zuletzt, um die Unternehmenskultur in Richtung Agilität zu verändern.
Die St. Galler Professorin Karolin Frankenberger und ihre Kollegen sprechen in diesem Zusammenhang vom 2 S-Kurven Modell.
Abbildung 3: 2 S-Kurven Modell, in Anlehnung an Gabriel Tarde, 1903 (Frankenberger et al. 2020, S. 7)
In Anbetracht des veränderten Kundenverhaltens, getrieben durch die aktuellen, relevanten Megatrends, gilt es mit Fokus auf die Customer Journey die eigene Onlinepräsenz auszubauen. «Online or No Line» ist das geflügelte Wort. Ohne Onlinepräsenz ist die Gefahr sehr gross, von der interessierten Zielgruppe als nicht relevant eingestuft zu werden. Konkret gilt es, einen adäquaten Internetauftritt zu pflegen, der auf mobilen Geräten gut funktioniert und präsent und aktiv auf Social Media aufzutreten. Onlineangebote (E-Commerce) orientieren sich nicht zuletzt an der Unternehmensgrösse, sie führen jedoch auch dann zu zusätzlichen Touchpoints in der Customer Journey, wenn der Onlineumsatz nicht so bedeutend ausfällt. Onlineshops geben Kunden eine Übersicht über das Sortiment, dessen Qualität, Verfügbarkeit und Preislage. Die von Kunden präferierte freie Kanalwahl führt zu der Frage nach der zu wählenden Vertriebskanalstrategie. Omnichannel ist dabei für viele Unternehmen klar zu präferieren. Nur mit dieser Strategie lässt sich über alle Touchpoints hinweg eine Kundenführung und -bindung erreichen, welche die Online – und stationäre Frequenz erhöht und die Abschlusschancen verbessert. Sie sollte auf Datenanalysen basieren, die neue Erkenntnisse zum Verhalten der Interessenten und Kunden erlauben. Innerhalb der Omnichannel-Strategie gibt es eine Vielzahl Subprojekte umzusetzen, wie z.B. eine neue Filialisierungs- bzw. POS-Strategie, etc.