Der Online-Detailhandel legte dieses Jahr bereits um Faktor 1.35 zu, der Online-Einrichtungshandel sogar noch stärker (2.5). Doch wie sieht es mit dem After-Sales-Service aus? Hier werden Empfehlungen – die Währung im Onlinehandel – generiert.
Online Service-Leadership
Einerseits ist es unbestritten, Covid-19 hat dem gesamten Schweizer Online-Handel einen riesen Boom verliehen. Die neusten Zahlen von Distanzhandel.ch zeigen dies eindrücklich. Am stärksten boomt dabei der Distanzhandel (Katalog und Online) bei «Home & Living». 2.5-mal mehr wurde während den Lockdown-Monaten gegenüber der Vorjahresperiode bestellt! Auch für den Juni seien die Zahlen im ähnlichen Rahmen. Der «Home & Living»-Onlinehandel profitiert damit gemäss Distanzhandel.ch am stärksten von allen untersuchten Kategorien vom Corona-Lockdown.
Andererseits stellt sich die Frage, wie nachhaltig dieser Erfolg nun ist? Die Meinungen hierzu gehen stark auseinander. Swiss Retail zeigt sich enttäuscht ab den Ergebnissen im Onlinehandel, vor allem wegen Nicht- einhaltung von Lieferversprechen. Gotthard Wangler, Detailhandelsexperte der alten Schule, spricht von einem Ausreisser. «Im Juni wird die Kurve bereits wieder abflachen». Das Onlineberatungsunternehmen Carpathia geht von einem nachhaltigen Corona-Boost von 20 % aus!
Doch welche Faktoren entscheiden über die Stärke des kommenden Wachstums im Online-Handel? Dass dieser überhaupt wächst dürfte unbestritten sein. Die Customer-Experience, die bereits von Swiss Retail angesprochen wurde, ist sicherlich ein entscheidender Punkt. Sehr viele Kunden wurden während des Lockdowns schlecht bedient. Ein grosser Teil der etablierten Online-Händler (multi-Channel wie auch Pure-Onliner) konnten wochenlang nicht mehr liefern. Was aber besonders schwer wog: Ihr Kundendienst war komplett überfordert. Beim Migros-Service gingen die Telefonanrufe zeitweise ins Leere und E-Mails blieben genauso wie bei Fust unbeantwortet. Solche Zustände, die Monate andauerten, verzeihen Kunden nur schlecht. Für lange Lieferzeiten zu Beginn der Krise bestand ein gewisses Verständnis, auch wenn schnellere Lösungen gerade von den Grossverteilern durchaus zu erwarten gewesen wären. Andere konnten das auch (vgl. Abbildung 2).
Positiv erwähnen möchte ich einen erlebten Einzelfall: Coop’s «Bau & Hobby» Online-Shop hatte seine Bestände wie so viele in der Krise auch nicht mehr im Griff. Meine Bestellung konnte trotz angezeigtem Bestand nicht ausgeführt werden. Dann aber meldete sich der Winterthurer (Töss) Filialleiter und meinte, er hätte mir den gewünschten Ping-Pong Tisch vor Ort verfügbar. (Filialbestand war online allerdings auch auf null!). Am Tag darauf holte ich diesen als zufriedenen, gut bedienten Kunden ab.
Es wurde in der Krise viel Goodwill verspielt, doch aufhalten lässt sich das Wachstum im Online Handel deswegen nicht. Convenience als Treiber ist ein übermächtiges Kundenbedürfnis, genauso wie ein gesteigertes Sicherheitsgefühl beim Einkauf aufgrund positiv geschilderter Erlebnisse. Kundenbewertungen sind die Währung im Internet, wenn es um die Kaufentscheidung andere Kunden geht. Hinzu kommen die bekannten Argumente für den Online-Einkauf wie die «Öffnungszeiten», Lieferung, Zeitersparnis, Erreichbarkeit (alles Convenience-Argumente), grössere Vielfalt bei einem Produkt, Rücktrittsrecht, Anonymität, etc.
Wie aber kann und soll sich der Kundendienst verändern, damit Leistungsversprechen in Zukunft besser eingehalten werden können? Mir erscheint wichtig, dass in dieser Frage nicht das Festhalten am alten Status quo im Fokus steht, sondern ein Innovationsprozess in Gang gebracht wird. Im Status quo sind viele Händler sich sehr ähnlich. Es geht v.a. noch um Effizienzsteigerung, wenn sich nach der Krise alles wieder eingependelt hat. Vorbereitet auf die Zukunft sind solche Unternehmen und Service-Center deswegen aber nicht besser, im Gegenteil. Harry Gatterer’s (CEO des Zukunftsinstituts) Lazy Eight-Modell veranschaulicht, wo wir uns in Bezug auf Online-Service derzeit befinden: am sogenannten Bifurkations-Punkt. Wollen wir so weiter machen wie bisher oder müssen wir unser Handeln neu überdenken?
Denken in Zusammenhängen und Kontexten statt in linearen Verläufen, in Dynamiken statt in einzelnen Ereignissen kann zu neuen Lösungen im Kundendienst führen, mit welchem sich Wettbewerber auf Distanz halten lassen. Hierzu gehört auch das Denken in der Customer-Journey, über mehrere Kanäle hinweg und nicht in sequenziellen Phasen. Auch braucht es den Mut neue Technologien auszuprobieren. Wie beispielsweise Künstliche Intelligenz (KI) in den Kundenservice eingebaut werden kann. Auch aktives Benchmarking (nicht nur Zahlen vergleichen) kann eine Methode sein, um Innovation in den eigenen Kundendienst zu bringen.
Viele der grossen Schweizer Online-Player haben sich im online Pre- und Sales-Prozess in den letzten Monaten und Jahren stark verbessert. Einige sind respektable Omnichannel-Anbieter geworden mit Online- Umsatzanteilen von deutlich über 10 %, sogar im Möbelbereich. Im After-Sales-Bereich sind viele aber noch in der Steinzeit. Micasa’s (toller) online Einkaufsberater in Chat-Funktion beispielsweise, begleitet den Kunden durch die Ausstellung und berät wie und wo gewünscht. Warum ist das nicht auch bei Reklamationen, Montageschwierigkeiten oder Pflegeproblemen möglich? Mit einem besseren Kundenservice lassen sich bessere Bewertungen erzielen, und das boostet das Geschäft am nachhaltigsten. Es ist die beste Werbung überhaupt.