Differenzierungsstrategie «Nachhaltigkeit»

Yves von Ballmoos

Der Abbau nicht erneuerbarer Ressourcen wie auch die Umweltverschmutzung und der daraus sich ergebenden negativen Klimaeffekte zwingen uns die Art und Weise unseres wirtschaftlichen Handels zu hinterfragen. Die Gretchenfrage ist: Werden Kunden den nötigen Strategiewechsel mit (wohl) höheren Preisen mittragen? Wir haben uns das mit Fokus auf den Möbelhandel genauer angeschaut.

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass das Bewusstsein für die Notwendigkeit nach nachhaltigerem Wirtschaften und entsprechenden Produkten in der Bevölkerung laufend wächst und der politische Veränderungsdruck steigt. NOGs verfolgen und bewerten Unternehmen, um die Transparenz zu erhöhen und stellen Sünder an den Pranger.

Nach wie vor ein Nischendasein stellt die Nachhaltigkeit in der Möbelbranche dar. Die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten und Konzepten wächst aber stark an, was sich wiederum in einem an Dynamik gewinnendem Angebot widerspiegelt. Am Markt finden sich einige kleinere Anbieter mit guten Nachhaltigkeitskonzepten (rrrevolve, 4betterdays, Grüne Erde oder avocadostore). Sie stehen den grossen Möbelhändlern gegenüber, die langsam aber sicher nachhaltigen Produkten mehr Platz im Sortiment einräumen, allen voran IKEA, die 2020 diese in der Schweiz stark beworben hat. Es gibt klare Anhaltspunkte, dass die Nachhaltigkeit als Kauffaktor bereits eine grosse Bedeutung einnimmt. Die deutsche Studie «Möbel und Nachhaltigkeit – Monitor 2016» spricht von drei Viertel der Befragten, für welche Nachhaltigkeit wichtig oder sehr wichtig sei – in Deutschland (Dr. Grieger & Cie. Marktforschung 2016). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Fact Research in Ihrer (nicht möbelspezifischen) Studie aus dem Jahr 2017, in welcher 70 % der deutschen Konsumenten Wert auf Nachhaltigkeit beim Kauf von Konsumprodukten legen (Facit Research GmbH & Co. KG 2017). Eine internationale Unilever Studie von Anfang 2017 kommt zum Schluss, dass Global bereits ein Drittel der Konsumgüterkonsumenten ihre Produktauswahl basierend auf der Nachhaltigkeitspositionierung eines Anbieters kaufen. Eine aktuelle Studie von EY (2020) stützt dies. Die damit kommunizierten Werte werden von Konsumenten kritisch und sehr aufmerksam betrachtet (Unilever NV 2017).

(Wichtigkeit von Nachhaltigkeit bei Wohneinrichtungen, Quelle: Splendid Research, 2018)

 

Entscheiden ist aber die Zahlungsbereitschaft: Der PwC-Studie „Die deutsche Möbelbranche“ ist zu entnehmen, dass für 73 % der befragten deutschen Konsumenten Nachhaltigkeit relevant ist und sie bereit sind einen deutlich höheren Preis zu zahlen (2019, S. 31). Am Beispiel eines Couchtisches ergab die Studie eine konkrete Zahlungsbereitschaft von 60.64 Euro für eine konventionelle Fertigung, 100 Euro für nachhaltige und 101.52 Euro für schadstofffreie Produktion, also 67 % mehr!

(Relevanz von Nachhaltigkeit beim Möbelkauf sowie entsprechende Zahlungsbereitschaft für den deutschen Möbelmarkt, Quelle: PWC 2019)

Der Schweizer Think-Thank GS1 Switzerland attestiert der Nachhaltigkeit im Bereich DYI & Wohnen insgesamt eine sehr hohe Relevanz bei gleichzeitig kurzfristiger Durchsetzung des Trends auf dem Markt. Dabei stehen die Verpackung (technische Komponente) und die Sortimentspolitik im Vordergrund, deren Relevanz und Dringlichkeit sich in den letzten 12 zudem verstärkt hat.

(Entwicklung der Nachhaltigkeitstrends im Bereich DYI & Wohnen in der Schweiz, 2019 zu 2020, Quelle: GS1 Switzerland)

Die Verwendung gängigen Umwelt- und Nachhaltigkeitszertifikate bilden heute, in Anbetracht der Erwartungen der Konsumenten, eine Basisqualität. Die Erfüllung dieser wird nicht aktiv wahrgenommen, das Fehlen aber sehr wohl. Die holistischen, teils lifestyligen Konzepte wie Urban Farming, Green bzw. Eco-Design, Circular Economy, Cradle-to-Cradle etc. hingegen dienen nach meiner eigenen Erfahrung zur Profilierung. Vollends überraschen lässt sich der Konsument mit gänzlich, nicht zu erwartenden Ideen – auch in der Nachhaltigkeit. Hierzu könnte eine volle Transparenz über die Wertschöpfungskette dienen, wie H&M es teilweise bereits macht (beispielsweise bei einigen Teppichen) oder die Möglichkeit von „Direct Trade“, also einem (kostenpflichtig) vermittelten Geschäftsabschluss zwischen dem Produzenten und dem Endkunden.

Die Nachhaltigkeit bietet Raum für Differenzierung, nicht nur durch passende Sortimente mit inhaltsschweren Produkten, sondern über das Produkt hinaus, die Wertschöpfungskette rauf und runter, vom Anbau eines Baumes, der Ausbildung der Förster, über die Verpackung, Green-Design, die Logistik und die Wiedergewinnung des Rohstoffe im Sinne der Kreislaufökonomie. Die grossen Möbelhäuser mit mehreren hundert Millionen CHF Umsatz haben die Power, Nachhaltigkeit ganz gross zu spielen. Dies umso mehr als dass beispielsweise Livique und Micasa bereits stark in die Nachhaltigkeit ihres Konzerns (Coop bzw. Migros) eingebettet sind und damit vieles schon vorhanden ist. Eine umfangreiche öffentliche Nachhaltigkeitsstrategie müsste heute für alle grösseren Einrichtungshäuser ein Must sein. Der Aufwand diese Initiativen in Konzernen herunter zu brechen plus geeignete Massnahmen für die Sparten zu finden, sind verhältnismässig klein, haben aber grosse Wirkung, Authentizität und positives PR-Potential. Es ist es ein Quick-Win! Nachhaltigkeitsstrategie und -bericht sind Fleissaufgaben. Das Angebot besteht auf dem Markt bereits, lediglich die Sortimentierung, die Emotionalisierung wie auch eine breitere Content-Herstellung fehlt vielen. Letztlich soll das alles miteinander verknüpft – omnichannel – und gut vermarktet werden. Bis hierhin muss der Business-Case kein bisschen verändert werden.

Weiter gehen die Empfehlungen von Frankenberger / Takacs in Ihrem HBR-Beitrag (2021) zur Circular Economy. Sie empfehlen die ganze Wertschöpfungskette zu hinterfragen, beginnend beim Design, über neue Partnerschaften, Feedbackloops bis hin zu neuen Monetarisierungsmodellen. Es läuft auf «Living as a Service» im Sinne eines (Miet-)Möbelabos oder Rückkaufgarantien hinaus. Hierfür muss sich aber auch ein attraktiver Occasionsmarkt für Möbel entwickeln (Re-Commerce), gemäss GS1 Switzerland der 3. wichtigste Nachhaltigkeitstrend. Einige Anbieter, darunter auch Start-ups sind an diesem Thema dran (Beliani, Lyght Living, Koj, etc.). IKEA versuchte es 2019 in der Schweiz mit einem Mietservice, der jedoch kläglich scheiterte!

Für die Umsetzung einer ambitionierten Nachhaltigkeitsstrategie empfehle ich ein zweistufiges Vorgehen:

  1. Wie lässt sich das Kerngeschäft nachhaltiger gestalten? Zertifikate sind ein Must, angepasste Sortimentierung bedarf Spezialistenwissen, (Green-)Logistik ist eine ökonomische Chance und die Kommunikation der getroffenen Massnahmen ein Quick-Win.
  2. Disruptive Massnahmen sollten durch ein separates Team ausgearbeitet und losgelöst vom Kerngeschäft umgesetzt werden. Wir unterstützen Unternehmen aktiv dabei.

(«Circular Economy Loop» in Anlehnung an Frankenberger / Takacs, eigene Darstellung, 2021

Circular Economy wäre ein Ansatz für Punkt 2, der über einzelne Eco-Design- oder Cradle-to-Cradle Produkte auch in bestehenden Formaten bereits umgesetzt werden könnte. Inhouse oder externe Ventures würden aber ein befreiteres Testen solch disruptiver Ideen erlauben.

So oder so, wer der Nachhaltigkeit im Strategieprozess keinen Raum bietet, der verpasst nicht nur eine grosse Profilierungschance, er arbeitet auch am Markt vorbei. Konsumenten wollen nachhaltige Konzepte und Produkte und sind auch bereit mehr dafür zu bezahlen. Leider fehlt im Schweizer Möbelmarkt (abgesehen von einzelnen guten Initiativen z.B. von IKEA und Pfister) ein zeitgemässes Angebot für diese Nachfrage.

Literatur:

Dr. Grieger & Cie. Marktforschung (2016): Möbel und Nachhaltigkeit Monitor 2016. Studie: Splendid Research. Online verfügbar unter https://www.splendid-research.com/de/statistiken/item/studie-moebel-und-nachhaltigkeit.html.

EY Deutschland (2020), Nachhaltiger Konsum, Online verfügbar unter: https://assets.ey.com/content/dam/ey-sites/ey-com/de_de/news/2020/05/ey-nachhaltiger-konsum-2020.pdf

Facit Research GmbH & Co. KG (Hg.) (2017): Sustainability Image Score (SIS). Serviceplan Gruppe. Online verfügbar unter https://www.serviceplan.com/de/news/sis-2017.html.

Frankenberger, Karolin; Takacs, Fabian (2021), A Step Toward Making Your Company More Sustainable, Universität St. Gallen, in Harvard Business Review, 14.01.2021

GS1 Switzerland (2020), Trendmap DIY & Wohnen, Swiss Retail Federation, Universität Freiburg, Bern
https://zukunftsplattform.gs1.ch/futureretail/trendmap

PricewaterhouseCoopers (2019): Die deutsche Möbelbranche – Marktüberblick 2019. Struktur, Trends und Herausforderungen. PWC Deals, Deutschland. Online verfügbar unter https://www.pwc.de/de/handel-und-konsumguter/die-deutsche-moebelbranche-marktueberblick-2019.html, zuletzt aktualisiert am 23.06.2020, zuletzt geprüft am 23.06.2020.

Unilever NV (Hg.) (2017): Report shows a third of consumers prefer sustainable brands. Online verfügbar unter https://www.unilever.com/news/press-releases/2017/report-shows-a-third-of-consumers-prefer-sustainable-brands.html.

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